Nach zwei Jahren erzwungener Pause konnten sich am 15.+16. Sept. die Mitglieder der DGPharMed wieder mit Vertretern der Industrieverbände, der Behörden und zahlreichen interessierten Gästen im Hilton Düsseldorf persönlich treffen. Ausserdem sorgte eine gut besetzte Industrieausstellung im Foyer für weiteren Diskussionsstoff. Allen Besuchern der DGPharMed-Tagungen ist die ungezungene Atmosphäre bestens bekannt, die einen offenen Gedankenaustausch erleichtert.
Vier Themenbereiche standen im Mittelpunkt:
- Hürden und Optionen der Patientenrekrutierung
- Die noch in der Übergangsregelung befindliche Medical Device Regulation
- Die unmittelbar anstehende Implementiertung der Clinical Trial Regulation
- Aktuelle und absehbare Innovationen im Feld der Digitalisierung
Wer als Teilnehmer die einzelnen Präsentationen abrufen möchte, kann dies noch bis Jahresende über nachfolgenden Link: www.dgpharmed-jahreskongress.de
Zudem boten zwei offene Diskussionsforen Raum über die Themen „Risikobasiertes Qualitätsmanagement“ (RBQM) und „Real World Evidence“ (RWE) zu diskutieren.
Hürden und Optionen der Patientenrekrutierung
Michael Gebauer von der SMO SiteWorks eröffnete den Reigen der Vorträge mit bislang noch unveröffentlichen Daten einer offenen Feldstudie, die mit Hilfe von Fokusgruppen an mehreren Prüfzentren im Gespräch mit Studienteilnehmern aus erster Hand Gründe für und gegen eine Teilnahme an klinischen Studien offen legte.
Die gute medizinische Versorgung im Rahmen einer klinischen Prüfung stand dabei im Vordergrund, wobei das Vertrauen in und die Vertrautheit mit dem klinischen Personal eng mit diesem Punkt verknüpft war.
Die Rolle der Study Nurse und anderen Personen am Zentrum ist dabei nicht hoch genug anzusetzen, denn diese verbringen zumeist mehr Zeit mit dem Prüfteilnehmer als der Arzt.
Eine fast ebenso wichtige Rolle kam dabei auch dem (Taxi)fahrer bei Transport zum und vom Zentrum zu. Es wurde deutlich, dass dieser „erste Eindruck“ auf dem Weg „zur Studie“ ganz entscheidend den Gesamteindruck mit prägt.
In Summe waren in einer nachfolgenden quantitativen Erhebung rund 50% der Befragten bereit, an einer klinischen Prüfung teilzunehmen.
Dieser grobe Wert unterschied sich aber in den Untergruppen: Wer selber aus dem Bereich des Gesundheitswesens stammte oder eine gut vertraute Person in dem Bereich kannte, der war mit 67% deutlich eher dazu bereit. Umgekehrt zogen Impfgegner nur zu 26% eine Teilnahme in Erwägung. Auch das Vorhandensein eines Organspendeausweises steigerte die Bereitschaft, auch wenn dieser Parameter sicher nicht im Erstgespräch mit einem Patienten geeignet ist, die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme abzuschätzen. Aber wenn sich im ersten „Vorscreening“ herausstellt, dass der Patient den Covid-Impfungen gegenüber offen war und diese als Erfolg sieht, zudem Vertrauen in das Gesundheitswesen und speziell das Personal vor Ort ausdrückt, dann ist die Zeit eines ausführlicheren Ausklärungsgespräches sicher gut investiert.
Ähnliche „Prädiktoren“ für ein erfolgreiches Rekrutieren in Studien stellte Peter Schüler von der globalen CRO ICON vor. Er bezog sich aber speziell auf „diverse“ Studienpopulationen, sprich die FDA Guidance vom Juni 2019, die wegen der Pandemie mit gebremstem Schwung umgesetzt wurde, aber nun zunehmend Fahrt aufnimmt: Für Einreichungen bei der FDA ist mehr und mehr der Nachweis zu führen, dass die Studienpopulation die US-Bevölkerung weitgehend abbildet.
Um diese bislang unterrepräsentierten Gruppen zu erreichen müssen auch spezielle Rekrutierungsmaßnahmen ergriffen werden. Am Zentrum sollten auch die Mitarbeiter aus diesen Bevölkerungsgruppen zu finden sein, um das oben erwähnte Vertrauensverhältnis aufzubauen. Auch in Europa und Deutschland wären solche Massnahmen an (neuen) Zentren mit einer diverseren Population geeignet, die Basis für die Rekrutierung zu verbreitern und somit zu verbessern.
Erfahrungen mit der Medical Device Regulation
Weniger erfreuliche Ausblicke geben konnten Christiane Ziegenberg vom Bundesverband Medizintechnologie und Bassil Akra, vormals beim TÜV Süd und nun Geschäftsführer seiner 2012 gegründeten Beratungsfirma AKRA zur bereits in Kraft getretenen Medical Device Regulation (MDR 2017/745).
Ein von beiden aufgezeigtes Problem ist die noch immer massive Diskrepanz zwischen Bedarf an kompetentem Personal in den neu zu etablierenden „benannten Stellen“ zur Durchführung der Konformitätsbewertung.
Zwar wurde der Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf den 26. Mai 2021 verschoben, die Übergangsfristen enden dennoch weiterhin am 27. Mai 2024.
Bis dahin müssen nicht nur neue Produkte, sondern auch sämtliche bereits im Markt befindlichen neu von diesen benannten Stellen zertifiziert werden. Und da steckt das Problem, sprich es baut sich eine Tsunamiwelle von fast 25.000 noch ausstehenden Zertifizierungen auf, von denen allein 2024 über 17.000 zu bewältigen sein werden.
Die Alternative, wie von der FDA gewählt, etablierte Produkte mit einer „Grandfathering“-Lösung den Marktzugang auch nach einer neuen Gesetzgebung zu ermöglichen, wurde von der EU Komission nicht gewählt. In der Diskussion wurde jedoch der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass dies die einzige Möglichkeit ist, die Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten auch nach dem 27. Mai 2025 zu ermöglichen, dem Ende der Abverkaufsfrist nicht neu zertifizierter Produkte.
Das von Holger Kloess von der Firma Qunique vorgestellte „Medical Device Single Audit Programm“ (MDSAP) stellt eine deutliche Erleichterung für die Bewertung des Qualitätsmanagement-Systems (sprich: Konformität mit ISO 13485:2016) des Herstellers dar – aber nur für die am Programm teilnehmenden Länder: Australien, Brasilien, Kanada Japan und die USA. Nur in Kanada ist es der verpflichtende Prozess. Auf diese Weise werden Audits von teilnehmenden Behörden gegenseitig anerkannt und mindern somit den Audit-Aufwand. Eine kurze Umfrage im Raum ergab, daß nur ein Zuhörer von diesem Programm wusste – also erkennbarer Aufklärungsbedarf besteht. Ob und wann die EU diesem Verfahren beitritt ist offen – und wird sicher erst nach Ende der Übergangsfristen der MDR in Erwägung gezogen.
Die Implementiertung der Clinical Trial Regulation
Einen ähnlich wenig erquicklichen Ausblick gaben Claudia Riedel vom BfArM, Rüdiger Pankow von Parexel und Thorsten Ruppert vom VfA zur Clinical Trial Regulation (EU-CTR 536/2014).
Erst sehr wenige Einreichungen aus der Industrie nutzen bislang das neue, zentralisierte Verfahren, welches anders als die bisherige „Directive“ nicht noch in individuelles nationales Recht zu überführen ist und sich noch bis zum 21. Januar 2023 in der Übergangsphase befindet.
Die Zurückhaltung ist einerseits verständlich, denn die Frist besonders für die Beantwortung von Rückfragen durch die als federführend ausgewählte Behörde (reporting Member State = rMS) ist mit 12 Tagen knapp gewählt. Ein Verstreichen dieser Frist bedeutet automatisch eine nicht-Genehmigung der Studie und erzwingt eine komplette Neueinreichung. Diese Frist wird dadurch verschärft, dass das ebenfalls neu erstellte und exclusiv zu nutzende „Clinical Trial Information System“ (CTIS) einige Kinderkrankheiten aufweist. So können oftmals zu umfängliche Dokumente nicht hochgeladen werden. Wenn dies am Tag 12 passiert, hat der Sponsor natürlich ein Problem. De facto sollte man also spätestens am Tag 11 alles erledigt haben, um keine böse Überrraschung zu erleben.
Es ist deshalb zu empfehlen, dass bei weniger hoch priorisierten Projekten die neuen Prozesse von den Sponsoren getestet werden, um einen reibungsloseren Start zum Ende der Übergangsfrist sicher zu stellen. Das CTIS lässt auch keinen Raum mehr für eine konstruktive Interaktion mit den Behörden, um eventuelle Defizite der Einreichung noch im laufenden Verfahren zu korrigieren. In anderen Worten: Der erste Schuss muss sitzen!
Für viele Software-Probleme hat die EMA „workarounds“ publiziert, die aber auch erst einmal verinnerlicht werden müssen. Noch keine Lösung gibt es für das Problem, dass niedergelassene Ärzte, welche keinen Handelsregistereintrag haben, nicht im CTIS angelegt werden können.
Auf der positiven Seite sei vermerkt, dass trotz aller Anlaufschwierigkeiten bereits 43 Anträge abschliessend positiv beschieden wurden, und das bei einer mittleren Bearbeitungszeit von 74 Tagen. Nur 3 Anträge wurde abschlägig beschieden. Man muss jedoch dazu in Bezug setzen, dass in dieser Zeit 39 Anträge aus verschiedenen Gründen (Fristüberschreitung, vom Sponsor zurück gezogen) aus dem Verfahren herausgefallen sind. Auch sicher ein grundsätzlicher Vorteil ist die begrenzte Einflussnahme der nationalen Behörden, die aber noch immer eine „opt out“ Option haben, sprich sich der Zulassung der Durchführung der klinischen Prüfung nicht zwingend anschliessen müssen.
Aktuelle und absehbare Innovationen im Feld der Digitalisierung
Frau Petra Thürmann von der Universität Witten-Herdecke stellte die Medizin-Informatik Initiative (MII) vor, die in Deutschland an einer besseren Nutzbarmachung digitaler Patientakten arbeiten. So soll medizinische und vor allem epidemiologische Forschung auch „vom Laptop aus“ möglich werden.
Bislang sind 37 universitäre Standorte eingebunden, denn dort sind elektronische Patientakten vordringlich eingeführt worden. Diese haben sich in 4 Forschungeverbünden organisiert: DIFUTURE mit 7 Standorten vor allem im Südwesten, HIGHmed mit 10 angeschlossenen Kliniken in der Mitte und dem Norden, MIRACUM mit 10 Standorten in der Mitte und dem Süden Deutschlands und SMITH mit Kliniken in einem Streifen von NRW bis Sachsen. Weitere Kliniken sind dabei sich einem der Verbünde anzuschliessen. Ein nationales Steuerungsgremium und Datenintegrations-Zentren sollen dabei Sorge tragen, dass die in fruchtvoller Konkurrenz zueinander operierenden Verbünde dennoch zu einheitlichen Datenformaten und kompatiblen Lösungen kommen.
Eine erste Herausforderung dabei war, die unterschiedlichen am Klinikum genutzten Systeme wie KIS, PDMS, LIS etc über einheitliche Portale zugänglich zu machen.
Aktuell (bis 2025) ist die MII dabei praktische Anwendungen zu etablieren. Zwei wollen aufgrund der Krankheitsdaten von Patieten mit Multipler Sklerose oder in der Onkologie eine Vorhersage zum Krankheitsverlauf treffen, um so eine möglichst personalisierte Therapie anzubieten. Das Projekt HELP möchte solche Kenntnisse für eine zielgerichtetere Antibiotika-Therapie nutzen und POLAR will die Zahl von unerwünschten Arzneimittelwirkungen vermindern, besonders aufgrund von Interaktionen.
Neben diesen Ansätzen zur optimierten Patientenversorgung verfolgt „miracum“ das Ziel, die Rekrutierung von geeigneten Kandidaten in klinische Studien zu vereinfachen, indem diese schon in einem digitalen „Vor-Screening“ im Krankenhaus-Informations-System (KIS) identifiziert werden können.
Einen weiter gefassten Ausblick gab Peter Schüler in seinem „Impulsvortrag“ zum Ende der Tagung – um den einen oder anderen Impuls den Teilnehmern bis zum nächsten DGPharMed Kongress mit auf den Weg zu geben.
Er zog eine Parallele von der aktuellen Pandemie als „Beschleuniger“ der digitalen Kommunikation zur Pest-Pandemie vor über 700 Jahren, die die Einführung des Buchdrucks beschleunigte, denn die Schreiber in den Klöstern waren schlicht verstorben. Diese vereinfachte und vereinheitlichte Kommunikation mittels Schrift zog verschiedene gesellschaftliche Umbrüche nach sich – Einrichtung von Universitäten und Bibliotheken bis hin zu Revolutionen, angetrieben von den so besser Gebildeten in mehreren europäischen Ländern.
Wie aber hat die bislang stattgefundene digitale Revolution die klinische Entwicklung beeinflusst – und wie wird dies weiter gehen?
Eine Untersuchung des Tufts-Institutes in Boston vom August 2022 legt nahe, dass die pharmazeutische Industrie eher gemächlich neue Konzepte übernimmt. Abgesehen von mehr dezentralen Elementen in Studien – die zeitweilig wegen der Pandemie alternativlos waren – wurden andere Innovationen mit einer Zyklusdauer von 69 Monaten eingeführt. Techniken wie interaktive Randomisierung (IVRS) oder elektronische Datenerfassung am Zentrum (EDC) haben sogar rund 20 Jahre bis zur endgültigen Etablierung gebraucht. Das geht heute zwar etwas zügiger, aber Konzepte aus dem letzten Jahrzehnt wie Risk-based Monitoring, digitale Endpunkte oder die Nutzung elektronischer Patientenakten auch für klinische Forschung sind noch immer weit von einer breiten Akzeptanz entfernt.
Noch schlimmer: Viele der während der Pandemie eingeführten Neuerungen wie Telemedizin oder Hausbesuche statt Visiten am Studienzentrum wurden in einer Umfrage nur ein Jahr nach dem Abflauen der Pandemie nur noch rund halb so oft genutzt wie während der Pandemie. In anderen Worten: Wir sind eher in einer Phase der Restauration denn der Innovation. Den kurzzeitigen Schwung von 2020 und 2021 verlieren wir gerade wieder. Anhand zweier grosser klinischer Studien aus der Pandemiezeit wurde aufgezeigt, dass neue Konzepte durchaus weiter genutzt werden sollten. Zum einen die Studien zur Zulassung der Covid-Vakzine von BioNTech und Pfizer mit immerhin 44.000 Teilnehmern, die mit vielen innovativen Methoden der dezentralen Studiendurchführung in nur 4 Monaten an über 150 Studienzentren eingeschlossen und weiter betreut werden konnten. Dazu mussten über digitale Plattformen über 80.000 beteiligte Mitarbeiter trainiert werden.
Noch kurz vor der Pandemie startete eine komplett dezentral angelegte Phase 3 Studie, die CHIEF Studie (Nature Medicine 28, 2022). Dank dieses innovativen Designs, in dem kein teilnehmender Patient auch nur einen Fuss über die Schwelle eines Studeinzentrums setzen musste, wurde die Durchführung des Projekts durch die Pandemie nicht verzögert.
Solche möglichst einfach gestalteten Studien mit wenigen und gut begründeten Endpunkten und Untersuchungen sollten unabhängig von dem Grad der Dezentralisierung das Ziel sein. In anderen Worten: die Studien angenehmer zu gestalten für die teilnehmenden Patienten und das Personal an den Zentren. In einer älteren Untersuchung von Tufts aus dem Jahr 2012 wurde ersichtlich, dass Studien mit komplexen Prüfplänen gut ein Jahr länger bis zum Datenbankschluss benötigen. Man könnte auch zusammenfassen: Weniger ist zumeist mehr.
An der anschliessenden Round Table Diskussion mit Jens Peters, BPI, Thorsten Ruppert VFA und Klaus Beinhauer, Fa Bayer unter reger Beteiligung der Zuhörer wurde auch deutlich, dass verschlankte Systeme oft nicht den erwarteten Kostensenkungs-Effekt haben. Dies wurde jedoch nicht als Hauptgrund für den Verlust an Innovationsschwung gesehen. Vielmehr ist die weit verbreitete Scheu vor dem Risiko einer Innovation der grösste Hemmschuh. Wenn nur ein einziger notweniger neuer Prozeßschritt ausgebremst wird, leidet die gesamte innovative Idee. Jens Peters gab den Zuhörern mit auf den nach-Hause Weg, hier nicht zu verzagen, sondern weiterhin „in die Speichen zu greifen“ – auch wenn man sich ab und an schmutzige Finger holt.